Uelzen, am Montag den 18.08.2025

Bildschirm-Politik

von Carlo Eggeling am 08.06.2024


Meine Woche
Bildschirm

Es gibt einen Wandel, das Leben scheint für viele besonders gut im Homeoffice zu funktionieren. So segensreich und praktisch es für Familien sein mag, macht es allerdings einen gewissen Sinn, vor Ort zu sein, bei der Müllabfuhr, bei der Polizei, in Seniorenheimen -- und in der Politik. Im Stadtrat und seinen Ausschüssen schalten sich einige gern per Datenleitung zu. Manche der Damen und Herren sieht man dabei kaum und fragt sich, sind die überhaupt dabei, wenn es um das Schicksal der Stadt geht? Per Headset kann man nebenbei bügeln, Spiegeleier braten oder fernsehen. Geht letztlich um die Abstimmung, da muss man kurz aufpassen und die Hand heben.

Seit Corona ist es eine gern gewählte Übung. Ungewöhnlich lief es trotzdem bei der vergangenen Ratssitzung: Ein Ratsherr der Gruppe Die Partei/Die Linke gab sein Mandat auf, dafür rückte ein Kollege nach. Der kam aber gar nicht erst ins Kulturforum, sondern winkte via Leinwand. Alles rechtlich in Ordnung, hieß es. Wird so sein.

Wie definiert der seine Aufgabe? Welchen Respekt bringt der Mann der Vertretung der Bürger entgegen, dass er nicht im Saal steht, wenn er vereidigt wird? Versteht er die Ehre, die Aufgabe, die er im Sinne der Stadtgesellschaft übernimmt? Er ist nicht alleine, andere Politikerinnen und Politiker betreiben ihr politisches Wirken auch so. Erstaunlich, weil Politik aus Absprachen besteht, weil Parteien die Sitzung unterbrechen können, um sich bei einer neuen Lage noch einmal abzustimmen. Wie macht das der Parteifreund, der zu Hause sitzt?

Ich habe schon vor längerem beim Präsidenten des Niedersächsischen Städtetages nachgefragt, wie man die Sache dort sieht. Frank Klingebiel, Oberbürgermeister von Salzgitter, meint: "Die Vorschrift des Kommunalverfassungsgesetzes wurde damit begründet, dass sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit dem kommunalen Ehrenamt ermöglicht. Dieser Punkt ist aus Sicht der ehrenamtlich Tätigen ein klarer Vorteil. Allerdings ist die Diskussion im Rat sowie die entsprechende Auswirkung eine andere als in einer Präsenzsitzung. Das muss eben vor Ort diskutiert und entschieden werden." Die Städte und Gemeinden machten unterschiedliche Erfahrungen mit der neuen Wirklichkeit. An der Ilmenau wirkt es eher desinteressiert.

Der Soziologe Max Weber hat bereits vor mehr als hundert Jahren definiert, wie er sich die Arbeit von Politikern vorstellt, anders als vom Sofa aus: "Die Politik bedeutet ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre." Leidenschaft. Mit Headset?

Wer politisch im Homeoffice lebt, kommt mutmaßlich gut mit der Praxis zurecht, dass die Verwaltung vieles unter Mitteilungen vorträgt, da sind Nachfragen zugelassen, aber keine Diskussion. Praktisch für die Regierenden, schlecht für eine lebhafte Debatte und das Ringen um Perspektiven. Warum man so eine Geschäftsordnung akzeptiert, bleibt ein parteiübergreifendes Geheimnis. Wer wie ein CDU-Ratsherr nach der Devise lebt, alle säßen im selben Boot und müssten gemeinsam rudern, der hat vermutlich vergessen, dass es Regatten gibt. Da wollen verschiedene Teams gewinnen, sie zeigen, was sie können. Damit mag es nicht so dolle sein, wenn man sich so definiert.

Vielleicht müssen man und frau es so nüchtern und gleichzeitig so zielstrebig sehen wie der englische Premier Winston Churchill: „Die Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, abgesehen von allen anderen, die ausprobiert wurden.“ Um die muss man allerdings ringen. Leidenschaft sollte ein Antrieb sein.

Aber wahrscheinlich schätze ich die Frauen und Männer im Stadtrat falsch ein. Es gilt Udo Lindenberg: "Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur viel zu selten dazu." In diesem Sinne, machen wir was draus. Ist Wochenende. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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