Eine Wahl fällt aus — und die Stadt den Kandidaten nicht Bescheid
von Carlo Eggeling am 08.11.2023Sibylle Bollgöhn findet „unglaublich“, wie man mit ihr umgeht. Die Lüneburgerin ist eine der 78 Kandidatinnen und Kandidaten, die zur Wahl des Seniorenbeirats antraten. Dass die Wahl ausgefallen ist, weiß sie bis heute nicht offiziell: „Es gab kein Schreiben der Stadt.“ Und so wie ihr geht es offensichtlich auch den anderen, wie eine Nachfrage bei verschiedenen Kandidaten ergab. Heiko Dörbaum, Ruth Rogée und Alt-OB Ulrich Mädge wundern sich über den Umgang des Rathauses mit ihnen. Sibylle Bollgöhn: „Jede andere Stadt würde sich freuen, wenn sie so viele engagierte Menschen hat, die dich einsetzen wollen.“ Dann höre man nichts mehr.
Wie berichtet, hat Sozialdezernent Florian Forster die Wahl organisieren sollen. Das ging schief. Die Verwaltung erklärt den Fehler einfach gesagt mit einem EDV-Problem, dadurch seien Wähler, die einen Zweitwohnsitz haben oder hatten nicht erfasst und angeschrieben worden. Das mache zwei Prozent der rund 20 000 Wahlberechtigten aus. Wenn also rund 400 Wähler nicht abstimmen konnten, weil sie keine Wahlbenachrichtiigungen erhielten, wäre die Wahl anfechtbar, heißt es aus dem Rathaus.
Im Sozialausschuss hatte Forster erklärt, die Wahlleitung habe das Verfahren beendet, ein neues solle angeschoben werden. Wer die Wahlleitung und der Wahlvorstand sind, erklärte er nicht konkret. Vermutlich dürfte es dazu heute Nachmittag einige Nachfragen im von 17 Uhr an im Kulturforum Wienebüttel tagenden Rat geben. Da möchte die Verwaltung ihr künftiges Procedere vorstellen und sich grünes Licht aus der Politik holen.
Vor allem brauchen Forster und Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch als Verwaltungschefin einen politischen Beschluss darüber, dass sie die Wahl abgebrochen haben. Denn ohne Politik ist das gelaufene Vorgehen zweifelhaft.
Sibylle Bollgöhn und andere haben sich mit Schreiben an Forster und Frau Kalisch gewandt, sie fordern, bei einem neuen Wahlprozess möge beispielsweise auf die paritätische Besetzung des Gremiums geachtet werden, sie verweisen auf entsprechende Vorgaben. Auch hier erlebte die Lüneburgerin eine Überraschung: Gleichlautende Schreiben wollte sie in der Botenmeisterei an die Fraktionsvorsitzenden der Ratsparteien abgeben. Dort sagte man ihr, so schildert sie es, das gehe nicht, wer denn das Porto bezahle?
Erfolg hatte sie später beim Ratsbüro, die Kollegen hätten ihr freundlich weitergeholfen. Allerdings wirkt es schon eigen, dass der Bürger im Rathaus nicht problemlos eine Nachricht an den Rat und damit seine eigenen gewählten Vertreter abgeben kann.
Porto spielt wohl auch bei anderen Fragen eine Rolle. Für die vergeigte Wahl waren dafür 20 000 Euro fällig gewesen. Die hoffe man über eine kommunale Versicherung erstattet zu bekommen, hatte Forster erklärt. Warum aber 20 000 Senioren im Alter von 60 Jahren an, und damit ein Viertel der Lüneburger Einwohner, keine weitere Benachrichtigung über die abgesagte Wahl erhalten hat, scheint mit Geld zu haben. Amtliche Bekanntmachung und eine Notiz in der Zeitung reichten nach Forsters Meinung aus.
Sibylle Bollgöhn wiederum macht andere Erfahrungen: „Ich werde immer wieder angesprochen, ob ich gewählt wurde, was ich mache, worum es gehe? Bekannte wissen nicht, dass die Wahl abgesagt wurde.“ Wer lese auf dem Rathausflur solche Bekanntmachungen? Und die Zeitung scheint nicht mehr als Informationsträger zu funktionieren. Da müsste sich die Frage aufdrängen, wie Politik und Verwaltung künftig agieren wollen. Kandidaten schütteln erstaunt den Kopf, dass die Verwaltung offenbar nicht einmal das Porto für 78 Kandidaten ausgeben kann oder möchte, um sie zu informieren.
Aktuell geht die Verwaltung davon aus, dass die drei Sprecher des Beirates weitermachen, bis das ganze Verfahren neu an- und ablaufen kann. Das sei so besprochen, hieß es auf Nachfrage. Vorsitzender Manfred Stark hatte gegenüber LA erklärt, er sei von einer Dauer bis zum Jahreswechsel ausgegangen, er und seine Kollegen hätten mit privaten und gesundheitlichen Dingen zu kämpfen. Januar -- das scheint illusorisch angesichts eines anderen Verfahrens.
Denn eins dürfte auch klar sein: Es startet wieder bei null. In den Monaten zwischen alter und neuem Termin sind Wähler und eventuell auch Kandidaten verstorben, dazu sind andere Lüneburger 60 Jahre alt geworden. Eine Hoffnung bleibt, dass beim nächsten Versuch die Software auf dem Stand der Dinge ist. Carlo Eggeling
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