Frieden — aber gut gerüstet
von Carlo Eggeling am 27.04.2024Olaf Scholz kann auch anders. Der Kanzler wirkt oft so spröde wie Pergamentpapier. Am Samstagmittag in der Ritterakademie geht es beim Bürgerdialog auch heiter. Es müsse nicht jeder aufstehen, der eine Frage stelle, man sei ja nicht beim Sport. Lacher. 200 Gäste sind auf Einladung der SPD gekommen. Motto: "Wir müssen reden."
Einige Themen stehen an. Polizist und Gewerkschafter Sebastian Gruner verwies auf die Kriminalitätsstatistik, steigende Gewaltdelikte, mehr Herausforderungen durch rechtsextreme und islamistische Täter, die Polizei sei zu schlecht ausgerüstet. Scholz entgegnete, es seien mehr Beamte eingestellt worden, es komme bessere Technik zum Einsatz.
Klimawandel, Landwirtschaft, Kindergrundsicherung. Kurz, man habe einiges erreicht, aber klar, könne es noch besser werden. Was man so sagt, wenn man die eigene Politik verkaufen muss und das als Kanzler einer nicht gerade abgestimmt wirkenden Koalition.
Aber es gab eindeutige Antworten. Wann eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke und Lebensmittel komme, wollte eine Adendorferin wissen. Gar nicht, antwortete der Kanzler: "Dafür gibt es keine parlamentarische Mehrheit." Zum anderen gehe es um Eigenverantwortung und auch die für Kinder: "Niemand wird gezwungen, Schokolade zu essen." Applaus.
Ukraine und Rüstung. Für die einen zu viel, für die anderen zu wenig Unterstützung. Abwägen und besonnen bleiben, eben weil die Lage so gefährlich ist sei, erklärte Schulz seine Haltung. Die Lage der Welt habe sich verändert, sagte der Regierungschef. In den 1970er und 1980er Jahren habe Deutschland zwischen drei und vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert, heute sei zwei Prozent das Ziel. Statt damals 400 000 zähle die Bundeswehr nicht einmal die Hälfte an Soldaten.
Ausgleich und Abrüstung habe etwa die Politik und Helmut Schmidts geprägt. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts und der Wiedervereinigung habe man parteiübergreifend geglaubt, die Zeit von Bedrohungen sei vorbei: Da müsse er die Verantwortlichen in Schutz nehmen.
Spätestens nach dem Überfall Russlands sei klar, dass die Einschätzung nicht mehr stimme. Putins Aussage sei klar: "Macht bricht Recht." Der Kreml-Chef halte sich nicht an Verträge. Das sei eine Gefahr für andere Länder. Also müsse Deutschland in der Lage sein, sich zu verteidigen. Es klingt ein bisschen nach der Doktrin des Kalten Krieges vom Gleichgewicht des Schreckens.
Berlin unterstütze die Ukraine massiv. Nach den USA habe man das meiste Geld und die meisten Waffen gegeben. Während andere viel reden, stelle Deutschland drei Abwehrsysteme Patriot zur Verfügung, andere Nationen, die mehrere davon haben, nicht eins. Die 500 Kilometer weit reichenden Taurus-Raketen, so zielgenau, dass sie ein Wohnzimmer treffen könnten, bewillige Berlin nicht. Darüber müsse man die Kontrolle behalten, Deutschland werde bei aller Unterstützung keine Kriegspartei. Dafür gab es einigen Applaus.
Dem Rathaus war wichtig, dass Scholz sich ins Goldene Buch der Stadt einträgt. Zum zweiten Mal, 2011 hatte er seine Unterschrift als Hamburger Bürgermeister geleistet. Das war nicht ganz einfach, es habe lange Gespräche gegeben, die Oberbürgermeisterin sei bereits am Freitag längere Zeit in der Ritterakademie gewesen, um den Rahmen abzusprechen.
Allerdings hatte nicht die Stadt das Hausrecht, sondern die SPD. Wie das so ist, wenn man einlädt. Ein schönes Foto mit Claudia Kalisch samt Amtskette gab es selbstverständlich trotzdem. Es stand schnell im Netz.
Und auch die SPD hat viele schöne Bilder für den Europa-Wahlkampf. Zudem zeigt es, dass der junge SPD-Bundestagsabgeordnete Jakob Blankenburg offenbar eine Rolle in Berlin spielt. Scholz eröffnete am Abend mit seinen Genossen den Europa-Wahlkampf im Hamburger Hafen. Carlo Eggeling
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