Uelzen, am Montag den 18.08.2025

Handwerkerwagen geplündert — Haftstrafe für 29 Taten

von Carlo Eggeling am 17.06.2024


Es wirkt, als werde das Land regelrecht abgegrast: In Reihe brechen Täter die Werkstattwagen von Handwerkern auf und plündern sie. Das Werkzeug landet nach Erkenntnissen der Polizei oftmals in Osteuropa. Nur ab und an fassen die Ermittler einen Täter. Doch Mitte Februar hatten die Beamten Glück: Als der Serbe Igor M. in Pirna wieder nach Deutschland einreisen wollte, klickten die Handschellen. Er war am Steuer eines VW Golf im Dezember geblitzt worden -- der Wagen wiederum spielte eine Rolle bei Aufbrüchen von Handwerkerfahrzeugen zwischen dem 14. und 17. Dezember. Am Montagnachmittag präsentierte Amtsrichterin Sandy Lindner dem 39-Jährigen die Rechnung: Er soll an 29 Taten beteiligt gewesen sein, Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in besonders schwerem Fall.

In drei Tagen schlug M. gemeinsam mit einem Komplizen in Braunschweig, Soltau, Lüneburg und Adendorf zu. 24mal mit Erfolg, fünfmal scheiterte das Duo. Der Wert der Beute betrug im schlechtesten Fall 354 Euro, im besten 15 000. Das ist der Sachschaden, für betroffene Maler, Schreiner, Gartenbauer und Dachdecker ist es viel schlimmer, denn ihnen fehlten Ladeteile, Sägen, Spleißgeräte und eine Rüttelplatte -- notwendig, um Geld zu verdienen.

Der Anwalt des Angeklagten, ein Berliner mit dem Singsang und Gemütlichkeit einer Kreuzberger Eckkneipe in der Stimme, erzählte die Geschichte seines Mandanten: Der pendelt demnach zwischen einem Dorf in Serbien und Berlin, wo seine neue Frau samt Sohn und seine Brüder zu Hause sind. Ihm fehle für einen Dauerenthalt der passende Aufenthaltsstatus. Er beackere ein bisschen Land seiner Eltern, ziehe Zwiebeln und Kartoffeln, die er auf dem Markt verkaufe.

Der im Wortsinne arme Kerl sei irgendwie in die Geschichte reingeraten. Der wiederum betonte fünfmal, wie leid ihm das Ganze tue. Eines Tages sei ein Bekannter aus dem Dorf gekommen und habe ihn als Chauffeur verpflichtet für 200 Euro pro Tag. Es ging in den Norden. 29 Tatorte. Doch über all das habe der 39-Jährige nicht so richtig Bescheid gewusst. Weder sei klar gewesen, wo die Ziele liegen, noch welche Wagen geknackt werden, auch wer den Transporter fuhr, in dem die Beute zwischengelagert wurde, wisse er nicht, ebensowenig wo die Werkzeuge abgeblieben sind.

Richterin, beiden Schöffen und Staatsanwalt war anzusehen, dass sie Tausendundeine Nacht eher für einen Tatsachenbericht halten würden als die Abenteuer des serbischen Münchhausen. Der hatte behauptet, er würde Niedersachsen gar nicht kennen, sei das erste Mal in der Region gewesen. Dummerweise legten Staatsanwalt und Gericht allerdings ein weiteres Blitzerfoto vor. Das stammte aus dem November. Es war sechs Wochen vor den angeklagten Aufbrüchen am 5. November um 22.31 Uhr in Rottorf entstanden. Mit dem guten Bekannten aus seinem Dorf an seiner Seite. Gerade zuvor hatte es laut Staatsanwalt in umliegenden Orten zwei Aufbruchsserien von 13 und fünf Taten gegeben.

Ja, stimmt, da habe man ein Auto kaufen wollen, erinnerte sich Igor M. Nachts um halb elf?, wunderte sich Richterin Lindner. Der Kumpel habe ihn aus Berlin abgeholt, wo, wann und was für ein Auto das war -- die Fragen konnte er nicht beantworten. Der Verteidiger hatte allerdings schon vorher erklärt, dass er solche Autokäufe kenne aus anderen Verfahren, in denen es um Drogen gehe. Da würden Täter gerne Autos mit Kennzeichen aus der jeweiligen Region kaufen, um weniger aufzufallen. Aber sein Mandat habe gar keine Straftaten begangen, da sei nichts angeklagt. Und zu dem Kompagnon habe er gar keinen Kontakt mehr, auch den vereinbarten "Lohn" habe er nicht erhalten.

Diese Argumentation nutzte seinem Mandanten am Ende nicht. Für das Gericht klang es nach einem planvollen Vorgehen. Der Angeklagte habe zwar die Taten und den Wert der Beute eingeräumt, was den Prozess gewaltig abkürzte, doch Richterin und beiden Schöffen blieben Zweifel an dem Auto-Kauf-Version. Trotz eines Geständnises, prüft das Gericht die Glaubwürdigkeit der Einlassungen.

Auch das reisende Hin und Her des Angeklagten, jeweils 14-Stunden-Touren, zwischen seinem Dorf in Serbien und seiner Adresse in Berlin wirkten verwirrend. Er habe ein Einkommen von 500 bis 600 Euro im Monat, die einfache Fahrt im Bus zwischen beiden Wohnorten koste 98 Euro. Wie solle das gehen?

Dass das Strafmaß überschaubar ausfallen würde, obwohl die Justiz es der organisierten Kriminalität zuordnet, war klar, da es vorm Amts- und nicht vor dem Landgericht angeklagt wurde. Gericht und Staatsanwalt schätzten Igor M. als ein eher kleineres Rad ein. Das war auch daran abzulesen, dass die Polizei zwischenzeitlich einen Schlag gegen die Banden landen konnte und damit die Identität Igor M.s feststand -- offenbar warnten ihn die Hintermänner der Banden nicht, sodass er schon an der Grenze festgenommen wurde. Der Staatsanwalt forderte drei Jahre Gefängnis, der Verteidiger eine Bewährungsstrafe.

Das Gericht urteilte: zwei Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe. Da Igor M. nicht vorbestraft ist, könnte er gute Chancen haben, einen Teil der Haft im offenen Vollzug zu verbringen. Als Freigänger könnte er arbeiten. Seine beiden Brüder betreiben eine Firma in Berlin, die würden ihn anstellen.

Ein bisschen Happyend gab es trotzdem: M.s Frau, sein Sohn und sein Schwager waren in Saal 8 des Amtsgerichts gekommen. Die Familie durfte kurz Kontakt haben.

Nachklapp:
Auch nachdem die Polizei gerade erneut einen 35-jährigen Serben als mutmaßlichen Einbrecher in Handwerkerwagen festgenommen hat, melden die Ermittler weitere Aufbrüche vom Wochenende aus dem Kreis Harburg sowie zwei Taten aus Bleckede, der Schaden geht in die Tausende. In den vergangenen Wochen zählte die Polizei allein im Kreis Lüneburg gut 50 angezeigte Taten. Aus dem Nordosten Niedersachsens kommen Dutzende weitere Taten dazu. Festnahmen geben nicht einmal eine Atempause. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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