Hölle Familie -- Wie berichten Medien darüber?
von Carlo Eggeling am 20.02.2024Die Familie ist das größte Glück, Familie ist der größte Albtraum. Statt Schutzraum eine Hölle. Im Polizeibericht ist regelmäßig darüber zu lesen. Häusliche Gewalt. Zwei Worte für einen Gegensatz, wie passt ein warmes Zuhause zu Gewalt? Zumeist hat ein Mann zugeschlagen, die alarmierte Streife verweist ihn dann bis zu zehn Tage aus der Wohnung, schreibt eine Anzeige wegen Körperverletzung. Wie gehen Medien mit solchen Meldungen um? Darum ging es am Vormittag bei einem Treffen im Behördenzentrum, zu dem Stadt, Kreis, Kriminalpräventionsrat und Polizei Journalisten und Vertreter von Institutionen eingeladen hatte. Die Akteure auf der "sozialen Seite" empfinden manchen Artikel als zu wenig sensibel.
Anlass war ein Bericht aus einem Gerichtssaal. Dort ging es unter anderem darum, warum eine Frau, die von ihrem Mann misshandelt wurde, ihren Partner nicht verlassen und sich Hilfe gesucht habe. Eben das sei schwierig, betonten Kathrin Richter von der Präventionsstelle der Polizei und Eleonore Tatge vom Kinderschutzbund, sie hat bis zu ihrer Pensionierung Jahrzehnte für die Polizei gearbeitet. Sie zeigten einen Ausschnitt aus einem Film, berichteten aus ihren Erfahrungen und zitierten Studien.
Kurz: Es ist ein Rad der Gewalt. Zuneigung, dann versucht der dominante Partner immer stärker, seine vermeintliche "Liebe" zu kontrollieren und einzuengen. Im schlimmsten Fall kommt es zum ersten Schlag, meistens eine Ohrfeige. Erschrecken, entschuldigen, passiert nie wieder. Honey Moon. Und Illusion: wieder ein Konflikt, Streit, die nächsten Schläge, heftiger. Das Karussell dreht sich schneller und schneller. Gewalt ist alltäglich.
Kinder leiden mit, sie beobachten, was sich Eltern antun. Die Fachleute wissen, dass Gewalt für die Mädchen und Jungen zum Tabu-Thema werden soll. Eleonore Tatge sagt: "Was zu Hause passiert, soll nicht nach außen getragen werden." Natürlich haben die Kinder Angst, darüber wollen sie reden. Doch durchschnittlich müssten sie bis zu sieben Erwachsene ansprechen, bevor ihnen zugehört wird. Der Appell: Nachbarn, aber vor allem die Schule sollten auf Veränderungen achten.
Eben das passiere auch. Zwei Jahrzehnte Präventionsarbeit führten dazu, dass Außenstehende eher Polizei oder Hilfsorganisationen einschalten. Frauen selber riefen öfter die Polizei. Bei der Lüneburger Wache liefen 2022 rund 560 Meldungen von familiärer Gewalt auf, für 2023 werde ein ähnlicher Wert erwartet. Ob tatsächlich mehr geprügelt werde, bleibt Spekulation. Hauptkommissarin Richter bilanziert: "Das Dunkelfeld wird mehr aufgehellt."
Noch ein Aspekt zu den Kindern. Studien belegen, dass Kinder, die in gewalttätigen Familien aufwachsen, das Verhalten ihrer Eltern später oftmals weiterführen: Jungen schlügen zu wie ihre Väter, Mädchen suchten sich Partner, die sie drangsalierten. Eine Wiederholung der Wiederholung. Wie massiv dieses Leben mit der Faust die Gesellschaft trifft, ist allein daran abzulesen, dass auf einer verteilten Liste der Ansprechpartner zum Thema 27 Adressen vermerkt sind, von der Ärztekammer über Jugendamt, Justiz und Polizei bis zum Weißen Ring.
Zurück zu den Medien. Die sollten so berichten, dass kein Opfer abgeschreckt wird, sich Hilfe zu suchen. Sie sollten sensibel mit Schicksalen umgehen, sodass Opfer und deren Leid beispielsweise auf einem Dorf nicht im Nu zu identifizieren sind -- ein missbrauchtes Schulkind sollte nicht von den Klassenkameraden wegen der Taten gehänselt werden.
Das will sicher keiner der sechs, sieben Kollegen, die zu der Veranstaltung gekommen waren. Gleichwohl setzt der Alltag Grenzen: Neben eine Polizeimeldung wird jedesmal eine Redaktion nicht einen Extra-Kasten mit Hilfsangeboten setzen. Bei einer Gerichtsreportage kommt es auf den Autor und die Autorin an, in wie weit sie es für nötig halten, Details zu schildern, was einem Kind, einer Frau und in selteneren Fällen Männern angetan wird. Wie eindringlich will man das Geschehen beschreiben, um zu zeigen, wie grausam der Täter war, um zu erklären, warum Richter so urteilen, wie sie urteilen. Es bleibt eine Gratwanderung.
Persönlich kann ich sagen: Ich finde die Bilder furchtbar, wo ein Mann mit erhobener Faust steht und in seinem Schatten kauert eine Frau, ein Kind, all das, um Ohnmacht und Gewalt sinnbildlich zu fokussieren. Zum einen ist es ein Standardmotiv, das kaum mehr für Aufmerksamkeit sorgt und zum anderen erniedrigt dieser Blick nach meinem Empfinden die Opfer noch einmal, weil es so ausweglos wirkt. Und ausweglos soll, darf es nicht sein. Carlo Eggeling
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