Uelzen, am Montag den 18.08.2025

LoCarlo: Bissen für Bissen ändert sich die gewohnte Welt.

von Winfried Machel am 02.07.2022


Meine Woche
Kalte Zukunft, warme Gedanken

Ich habe verstanden, dass es im Herbst ernst wird. Nicht nur weil Wirtschaftsminister Robert Habeck in Sachen Gas und Co. davor warnt und seine fürs Äußere zuständige Kollegin Annalena Baerbock den durch Litauen gesperrten russischen Transitkorridor für Waren in Richtung Kaliningrad wieder öffnen möchte, um Putin zu besänftigen. Das ist Weltpolitik, doch das wahre Leben ereilt uns in der Provinz. Ich dachte jetzt, mein Nachbar zimmert mit Wasserwaage, Bohrmaschine und Latten noch ein Gartenhaus für sein beackertes Grün. Nein, hat er mir erklärt: "Das werden Unterstände für Holz. Man weiß nicht, was kommt." Der Mann hat für eine Bank gearbeitet, der kann Risiken kalkulieren. Wenn der so vorsorgt, kann es wirklich dicke kommen.

Nun wohne ich in einem Mietshaus. Kein Kamin, kein Ofen. Was kann ich tun? Ob ich meinen Balkon trotzdem mit Holzscheiten vollpacke? Heiligabend Lagerfeuer im zweiten Stock? So recht weiß ich mir keinen Rat. Habecks Tipp mit dem kürzeren Duschen ist wirklich eine des Philosophen würdige Idee, sie zeigt den Menschen noch einmal ganz anders in all seiner Nacktheit und Bedürftigkeit. Allerdings dusche ich eh nicht länger als drei Minuten zwanzig. Ich habe extra die Sekunden gestoppt, ein Zeitgefühl reicht in dieser Frage nicht.

Vielleicht hilft es, angestaubte Freundschaften wieder aufleben zu lassen oder die Nachbarschaft inniger zu pflegen. Stets im Hinterkopf, ob es in den Wohnzimmern gute Feuerstellen gibt. Außerdem, wenn viele zusammenkommen, wird's etwas molliger. Gemeinschaft erlebt eine spürbare Bedeutung und Wärme. Mal schauen, ob mich jemand einlädt. Ich kann ganz nett sein.

Eingeladen war ich neulich bei einem Gartenfest. Zauberhaft, wie liebevoll die Gastgeber alles arrangiert hatten. Da war es übrigens eher zu heiß, war Eis in den Getränken erlaubt? Aber das nur am Rande. Jedenfalls habe ich auch dort etwas verstanden. Wenn ich an Habeck und die Philosophie denke, wäre das vielleicht so ein Satz: Die Evolution verändert tiefer als eine Revolution.

An einem Imbisswagen schmorte sensationellerweise Schaschlik in einer großen Pfanne, wo bekommt man das noch? Na ja, jedenfalls stand ich mit einem Mitesser am Tisch, der erzählte, dass er in Kiel einen großen Imbiss betreibe. Die Currywust sei sehr beliebt. Inzwischen auch in anderer Machart: "Ein Mitarbeiter sagte, wir sollten vegane Wurst anbieten. Ich war skeptisch. Machen wir nun. 70 Prozent der jungen Kunden kaufen vegan." Und es würden mehr.

Bissen für Bissen ändert sich die gewohnte Welt. Die alten weißen Wurst-Maxen können irgendwann froh sein, wenn sie Fleisch bekommen. Zu Schwarzmarktpreisen vermutlich. Verdrückt und verdruckst wie in der Raucherecke auf dem Bahnhof, in der die irgendwie schmuddelig wirkenden Zeitgenossen geduldet werden. Langsamer Wandel. Die Diskussion um Massentierhaltung und Co. erübrigt sich in ein paar Jahren, weil Acker, Feld und Treibhaus Ställe überflüssig machen. Der Rest (von uns) erledigt sich biologisch. Selbst da probt man neue Komposttechniken, habe ich gelesen. Im Nu wandelt man sich quasi zum Dünger. Alles wird nachhaltiger.

Weil aller gute Dinge drei sind, noch ein Erkenntnisgewinn: Das Neun-Euro-Ticket ist eine famose Sache. Das halbe Land entdeckt das ganze Land. Klar ist es im Zug enger, aber dafür fast umsonst. Große Aufgabe für Berlin, weiter ein gutes Angebot zu unterbreiten. Mehr Waggons, engere Takte, Strecken ausbauen. Da auch hier viele wohnen, die sich einer besseren Welt verschrieben haben, werden wir erleben, dass der Widerstand gegen Bahntrassen und Windräder sich in Zustimmung wandelt. Die selbsternannte letzte Generation beweist mehr Einsicht in die Notwendigkeit.

Bestimmt. Und ich frage meinen Schwiegersohn, ob er mir für den Winter dicke Socken strickt. Für zu Hause und wenn ich zum wärmenden Besuch aufbreche. Als Gastgeschenk einen Holzscheit dabei. Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


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