Uelzen, am Montag den 18.08.2025

LoCarlo: Dunkel und ruhig!

von Winfried Machel am 06.08.2022


Meine Woche
Dunkel und ruhig

Als im Dezember 1801 der Schustergeselle Schmidt auf einer der finsteren Gassen Lüneburgs verunglückte, ging dem Magistrat angesichts des Schicksals des armen Kerls ein Licht auf: Wie andere Städte auch, so sollte Lüneburg eine Straßenbeleuchtung erhalten. Stadtchronist Volger notiert, dass 1817 die ersten Öl-Funzeln glommen. Doch erst im Oktober 1858 zischten gut 300 Gaslaternen. Die Lichtstärke einer Leuchte entsprach etwa zehn Kerzen, ist in alten Unterlagen nachzulesen.

Was damals als modern galt, ist heute ganz furchtbar: Licht und Stromverbrauch. Soll Schustergeselle Schmidt doch fallen, was treibt der sich so spät herum? Der Herrgott hat Tag und Nacht gemacht. Gerade jetzt, wo wir alle sparen müssen. Regierung, Verbraucherschützer und Journalisten, die statt Artikel gern mal Predigten schreiben, erklären, was Phase ist.

Ampeln und Straßenbeleuchtung nachts abdrehen. In Treppenhäusern im Klinikum muss keinem ein Licht aufgehen, lese ich. Der Einwand der Weißkittel-Brigade und ihrer Kollegen, dass Patienten und man nächtens medizinisch unterwegs sei, muss kalkulatorisch verstanden werden: Solche wie der Schustergeselle Schmidt könnten stürzten, Operationen und eine lange Pflege gebrochener Glieder sind energieaufwendig.

Sehenswürdigkeiten benötigen kein Licht. Wer denkt noch an Schönheit, wenn es darum geht, Putin zu trotzen? In Lübeck sollte das Holstentor in Finsternis versinken. Die Stadtsprecherin verweist praktisch darauf, das bringe kaum etwas, da man seit geraumer Zeit LED-Leuchten installiert habe. Immer diese Fakten. Gefühlt ist es anders richtig.

Am besten gefällt mir ein Brief aus Absurdistan in der Lokalzeitung, die sollte sich vielleicht fragen, ob sie aus energiepolitischer Verantwortung nicht das Erscheinen einstellen sollte. Arbeit frisst jede Menge Energie. Aber das nur am Rand. In der Leserzuschrift liest sich Wundersames: "Auch beim Stadtfest hat Stromlärm auf dem Sande genervt. Sogar Demos von Fridays for Future und das 'Klima-Camp' verschwendeten Strom für Musiklärm – Strom, der aus Atom, Gas und Kohle erzeugt wird. Unglaubwürdig, heuchlerisch und verlogen. In Zeiten von Klimawandel und Strompreiserhöhungen sollte zuerst eingespart werden bei überflüssigem Luxus. Ich erwarte, dass auf den Sülzwiesen kein Strom mehr für irgendwelche Lärm-Events verschwendet wird. Feiern kann man auch ohne Stromverschwendung!" Genau, singen wie einst das Jungvolk. Am besten die passenden rechten Lieder.

Denken Sie das weiter. Nix Lautes aus Wummerboxen und trunkenen Hälsen mehr am Stint, Kreidebergsee und an der Uni. Stattdessen proben alle bei selbst geschöpftem Ilmenauwasser bewusstseinserweiternde Atemtechniken. Da bräuchte es nicht mal mehr Nachtbürgermeister, eher einen fernöstlichen Yogi auf einem Nagelbrett, der Gelassenheit und Entsagen vermittelt. Dann würde auch weniger gegen Haustüren gepinkelt. Was alles möglich wird, wenn man überlegt.

Aber hören wir auf Regierung, Wissenschaft und Verbraucherzentrale: Energieeinsparen, wo immer es geht. Auch beim E-Bike und dem E-Roller? Selber bewegen. Da könnte ordentlich was zusammenkommen. Den Kram mit dem Internet und diese ganzen Selfies und Mitteilungen an die Welt, was es gerade zu Essen gibt, lassen wir mal sein. Gehört zu den größten Stromfressern.

Ein bisschen Umdenken gehört dazu. Es braucht Kompromisse: Kohlekraftwerke laufen länger, LNG-Terminals, bis vor Kurzem so willkommen wie dem Teufel das Weihwasser, muss ebenso sein, wie mehr Öl und Gas aus dem Wattenmeer zu fördern. Da zeigen Trottellumme, Basstölpel und Robben bestimmt Verständnis. Ist ja nur für den Übergang.

Genauso wird's mit der Atomkraft gehen. Drei Meiler haben wir noch am Netz, die am Jahresende abgeschaltet werden sollen. Aber heute? Erinnern wir uns. Es gab mal eine rot-grüne Regierung unter Gerd Schröder, das ist der, der nicht in den Irak-Krieg zog, der nicht nur wegen der Energieversorgung, sondern auch aus historischer Verantwortung, Hitler und seine Kumpane hatten dort fürchterlich gehaust, auf eine Partnerschaft mit Russland setzte, der Wirtschaft und Sozialsystem so umkrempelte, dass sie nicht kollabierten. SPD und Grüne hatten den Atomausstieg beschlossen.

Die nächste Kanzlerin, Angela Merkel, sorgte für den Ausstieg vom Ausstieg im Herbst 2010 und gewährte Kernkraftwerken längere Laufzeiten. Ein halbes Jahr später, im März 2011, knallte der Reaktor im japanischen Fukushima durch. Großer Wandel: Die Kanzlerin und ihr Kabinett beschlossen einen neuen Ausstieg. Frau Merkel ist eine praktische Frau, auch wenn das heute viele vergessen haben. Eine Umfrage im Herbst 2011 zeigte: 80 Prozent der Bevölkerung wollten das Ende der Kernkraft. Das hatte die Kanzlerin schon vorher gesehen.

Heute haben wir Annalena Baerbock und Robert Habeck. Wie heißt der Kanzler noch, aber der sagt ja eh nie was. Die beiden Grünen kennen Umfrageergebnisse: Im Juli ermittelte das ZDF-Politbarometer: 57 Prozent der Bevölkerung sind dafür, Reaktoren länger laufen zu lassen.

Mal sehen, wann wir die nächste Einsicht in die Notwendigkeit erleben. So ähnlich wie bei: "Keine Waffen für die Ukraine" zu "Schwere Waffen für die Ukraine". Frau Merkel würde das verstehen. Wer versteht heute noch Frau Merkel?

Vielleicht könnten wir dann nachts das Licht anlassen, damit Schustergesellen wie Schmidt nicht stolpern und sich die Knochen brechen.
Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


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