LoCarlo: Lüneburg macht bella Figura
von Winfried Machel am 01.08.2022Ein Bummel durch die Architektur der Stadt. Das neue Heft Denkmalpflege zeigt ein bekanntes unbekanntes Lüneburg
Heute soll es schlicht sein. Sachlich. Ornamente oder gar Figuren an einem Neubau sind kaum denkbar. Das Museum am Wandrahm -- ein Kasten. Die Blöcke im Hanseviertel oder im Ilmenaugarten, praktisch gestapelt. Reduziert auf die Funktion. Lüneburg ist überall, nicht anders in Lübeck oder Lüdenscheid. Vor eineinhalb Jahrhunderten war das anders. Wer baute, wollte Zeichen setzen, eine, seine Geschichte erzählen. Zu besichtigen ist das noch an einigen Stellen der Stadt. Den Betrachter überkommen schnell Romantik und Nostalgie der vermeintlich besseren Zeit. Besser? Es war zumindest eine andere Zeit.
In neuen Heft Denkmalpflege in Lüneburg nimmt der ehemalige Stadtarchäologe Prof. Edgar Ring den Leser mit auf einen Spaziergang. Bummeln wir mit. An der Schießgrabenstraße 8/9 lässt sich der Spediteur und Präsident der Handelskammer, Adolph Georg Gotthold Penseler 1890 eine Villa in gelbem Stein errichten Säulen setzen Akzente, und eben Figuren: Vulcanus mit einem Amboss, seinen Hammer scheint er verloren zu haben, Merkur mit geflügeltem Helm, Flora mit einem Blumenkorb und Fortuna auf dem Schicksalsrad, "Zepter und Dornen besagen, dass auch im höchsten Glück irgendein Leiden verborgen ist", dazu zwei Löwen mit Schilden.
Ring zieht den naheliegenden Vergleich, denn Penseler lebte vorher am Berge 8, dem Komplex neben dem Karstadt-Parkhaus. Dort produzierte die Tapetenfabrik der Familie, wo ebenfalls ein Ensemble der Antike wacht und mahnt. Die steinernen Damen stehen für den Handel, die Industrie, die Künste und die Weisheit. Ring notiert: "Das Doppelhaus zeigt mit seinen Figuren zwei Aspekte im Leben des Tapetenfabrikanten Penseler: seine Profession als Industrieller und seine privaten Leidenschaften."
Ein anderes, zeitweiliges, Beispiel ist die Einhorn-Apotheke am Sand. Sie erhielt 1876 eine neue Fassade. Stadtchronist und Zeitgenosse Friedrich-Wilhelm Volger stellt den "neuen Giebel" aufgrund des Renaissancestils in Verbindung zum Penselerschen Hause am Berge. Drei Frauengestalten standen hier wie dort für Weisheit, Industrie und Handel. Laut Ring handelte es sich um Duplikate. Das Damen-Trio verabschiedete sich in den 1950er Jahren, wohin bleibt ungewiss.
Sehr prägend ist der Landsknecht, der am Markt über der heutigen Parfümerie in luftiger Höhe Ausschau hält. Wenn man so will, immer Auge in Auge mit der Luna, auf dem Rathaus-Brunnen. Eine ewige Liebe auf Abstand. Maurermeister Christian von der Heide habe das Eckhaus zu den Brodbänken zwischen 1877 und 1880 errichtet, weiß Archäologe Ring. Der Handwerker riss einen gotischen Vorgänger ab -- Denkmalschutz galt damals nicht --, um nach dem Vorbild der niederländischen Renaissance einen Neubau zu erreichten. Nun gehörte das Haus dem Hutfabrikanten Leppert. Der Landsknecht passte übrigens nicht allein auf. An der Frommestraße 1 stand sein Zwilling, wie eine Fotografie Eduard Lührs aus dem Jahr 1898 zeigt.
Es gibt weitere Beispiele für die Standbilder, die oftmals verschwunden sind, etwa an der Westfassade des ehemaligen Johanneums, heute lernen dort Mädchen und Jungen in der Oberschule am Wasserturm. Längst Vergangenheit sind vis-à-vis an der Roten Straße die katholische Kirche und das Wohnhaus, welches der damalige Stadtbaumeister Eduard Friedrich August Maske 1868 für sich baute. Auch hier Figuren als Schmuck. Maskes Haus wich für den Klotz, der Volkshochschule und Co. beherbergt. Schmuck ist daran nicht auszumachen. Maske war auch der Mann, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Rathausfront "ausbesserte" und dabei Figuren auf die Ostseite versetzen ließ.
In den Häusern spiegelt sich eine ökonomische Blüte einzelner Unternehmer. Ring notiert dazu: "Wirtschaftlicher Aufschwung und politische Veränderungen im Laufe des 19. Jahrhunderts bewirkten, dass sich in Lünebrug eine neue bürgerliche Oberschicht entwickelte, die sich im öffentlichen Raum durch eine hervorragende Architektur darstellte. Nicht nur der Baustil der Neogotik und Neorenaissance wurde bevorzugt, sondern man wählte zum Teil den neu eingeführten gelben Backstein und freiplastische Figuren an den Giebeln."
Der Band versammelt weitere Lüneburger Schlaglichter: Heiner Henschke berichtet von der Kammer über der Dornse, dem Wohnzimmer alter Häuser, Markus Tillwick erklärt ein Tafelbild aus der Johanniskirche und dessen Restaurierung. Tobias Schoo, Lüneburgs neuer Archäologe, und Dietmar Gehrke, der in gleicher langjähriger Profession für den Landkreis zuständig ist, widmen sich dem Dorf Modestorpe, das am Fuße der Johanniskirche zu den Keimzellen der späteren Stadt gehört.
Das Heft, das wie immer in hoher Qualität verständlich erzählt, ist unter anderem im Buchhandel erhältlich. Herausgegeben und finanziell kräftig unterstützt hat es der Verein Stadtarchäologie. Carlo Eggeling
Die Bilder aus dem Heft zeigen historische Aufnahmen von Einhorn-Apotheke, Johanneum und Frommestraße sowie aktuelle Aufnahmen. Die Rechte liegen bei Edgar Ring beziehungsweise dem Museum Lüneburg
Kommentare
Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.