Uelzen, am Montag den 18.08.2025

LoCarlo: Lüneburger Gesichter (32)

von Winfried Machel am 05.09.2022


In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor

Die Mütter der Klamotte
Kathrin Becker und Cornelia Böhme betreuen die Kleiderkammer des ALA. Sie haben reichlich zu tun. Auch weil eine fehlt: ihre Schwester Verena Fiedler

Herzen, knuddeln, lachen. Was für eine Begrüßung, war für ein Besuch: Nina Küchlin ist extra aus Basel angereist, um bei der Alten Handwerkerstraße als Marketenderin durch die Gassen zu ziehen. Erste Station der Wahl-Schweizerin ist der Speicher am Iflok. Oben im ersten Stock stehen die Schwestern Cornelia Böhme und Kathrin Becker bereit, um alle einzukleiden, vom Landsknecht bis zum Handwerker. Die drei Frauen kennen sich, Nina macht schon lange mit: "Seit 2004. Ich komme eigentlich aus Oldenburg und habe in Lüneburg studiert." Und klar die beiden anderen sind auch schon lange dabei.

Hunderte Kleider, Röcke, Blusen, Hauben hängen an Kleiderstangen und auf Bügeln, stapeln sich in Regalen. Welche Kombination ist die richtige für Nina? Ein, zwei Röcke sind ein bisschen knapp. "Das liegt an Schweizer Schokolade", vermutet Conny mit einem Lächeln. Nina lacht und kramt in ihrem prallvollen Rucksack: "Ich habe welche mitgebracht." Natürlich wäre das nicht nötig gewesen, und natürlich freuen sich die Frauen.

Doch warum nimmt man sieben, acht Stunden in der Bahn auf sich, um ein Wochenende in Lüneburg zu sein? "Ich kann hier in eine alte Welt zurückreisen", sagt Nina. "Eine, die sich nicht ändert, weil die Kulisse gleich bleibt. Kitsch fürs Gemüt." Daserut so gut. Genauso wie das Treffen von Freunden und Bekannten.

Die Handwerkerstraße, die wegen Corona vier Jahre Pause machen musste, setzt ein Zeichen des Anpackens in Zeiten, in denen andauernd irgendetwas abgesagt oder zusammengedampft wird, weil angeblich so viele Hindernisse auftauchen. Man fragt sich, ob Verantwortliche anders als ihre Vorgänger verlernt haben, dass man Schwierigkeiten zur Seite legen kann und so den Blick auf Neues gewinnt.

Conny und Kathrin sind Schwestern. Schwestern, die immerzu merken, dass eine Schwester fehlt: Verena Fiedler. Ein Bild der drei hängt an der Wand. "Egal, wo man hinfasst, da ist noch ein bisschen Verena", sagt Kathrin. Verena, die im Herbst vergangenen Jahres gestorben ist, hatte den Fundus lange betreut -- und ihre Schwester gewonnen mitzumachen. So ist ein Erbe geblieben: Schnell einen Riss flicken, einen Knopf annähen, nachts von Sonnabend auf Sonntag die Waschmaschinen anwerfen, um morgens wieder frische Hauben, Schürzen und Hemden für die vielen zu haben, die die Gassen in der Tracht nach Vorbildern der Renaissance um 1500 bevölkern.

"150, 160 Kostüme geben wir wohl aus", schätzt Conny. Die Arbeit beginnt schon vorher. Der "Kleiderschrank für die Männer" und die Kammer für die Frauen brauchen natürlich Betreuung. Die Kleiderwartinnen haben Schnitte vorliegen, danach produzieren sie quasi Nachschub. Künftig will eine Nähgruppe das Duo unterstützen. Barrette will der Kreis nähen und Hosen: "Hemden haben wir dazugekauft."

Das große Lager des ALA, des Arbeitskreises Lüneburger Altstadt, der Handwerkerstraße und Christmarkt seit 40 Jahren organisiert, birgt beides. Charme und Probleme. Das uralte Haus ist kaum isoliert, die Kleider hängen eng an eng, das Wetter, mal heiß und trocken, mal eisig und feucht zieht durch Mauer und Klamotten. Mehr Platz und mehr Luft wäre schön, sind sich die beiden Gewandmeisterinnen einig. Doch was soll's -- es geht auch so. Wie schon so lange.

Die beiden betreuen die Kleiderkammer ehrenamtlich, neben ihren Jobs. Conny möchte im nächsten Jahr aufhören: "Dann bin ich zwanzig Jahre dabei." Aber so ganz wird das wohl nichts: "Wenn die mich brauchen, ich bin ja nicht aus der Welt." So ein Abschied vom ALA, von denen die mitmachen, denen, den Lüneburg mehr ist als nur ihre Wohnung, nämlich Heimat -- das geht eigentlich nicht.

Es ist so wie mit Nina, die in der Schweiz Windparks plant, die weht es immer wieder zurück in den Schatten von Michaelis, in die kuscheligen und stolzen Gassen, die noch ein bisschen Lüneburgs große Zeit als Salzstadt atmen. Wer will das missen? Carlo Eggeling

Die Bilder (ca) zeigen Nina Küchlin und Cornelia Böhme bei der Anprobe, Kathrin Becker in den Reihen voller Kostüme und die Erinnerung an Verena Fiedler mit ihren Schwestern.

© Fotos: Carlo Eggeling


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