LoCarlo: Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch will am liebsten keine Vertriebenen mehr aufnehmen.
von Winfried Machel am 02.09.2022Die Turnhalle als Unterkunft
Die Stadt funkt SOS ans Land, man wisse nicht, wie man die Ukraine-Flüchtlinge unterbringe solle. Das Innenministerium sagt: anderswo ist die Lage nicht anders. Keine Ausnahme für Lüneburg
Wochenlang leuchtete das Rathaus in den Farben der Ukraine, als Symbol der Solidarität und auch als Zeichen, dass Lüneburg den Menschen beistehen möchte. Jetzt schaut die Lage anders aus. Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch will am liebsten keine Vertriebenen mehr aufnehmen. Die Stadt wisse nicht wie und wo.
"Die Oberbürgermeisterin weiter im Austausch mit dem Land Niedersachsen, um zu erwirken, dass die Hansestadt vorerst keine weiteren Geflüchteten so unterbringen muss", notiert eine Pressemitteilung. Die Verwaltung macht bekanntlich aus der Turnhalle im Grimm eine Notunterkunft, 80 Menschen sollen dort Platz finden. Auf meine Bitte um eine Einschätzung antwortet das Rathaus noch dramatischer: "Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch hat sich jüngst an das Land gewandt mit der dringenden Bitte, die Zuweisungen an die Hansestadt bzw. den Landkreis Lüneburg schnellstmöglich auszusetzen bzw. zu reduzieren. Sie bittet um mehr Rücksicht auf die jeweilige Situation vor Ort, zum Beispiel die nach wie vor sehr angespannte Wohnungsmarktsituation, in Verbindung mit knappen Finanzen, zu wenig Personal und kaum noch verfügbaren Dienstleistern und Material."
In Hannover zeigt Innenminister Boris Pistorius keine Neigung, Lüneburg eine Extrarolle zuzubilligen. Denn die Lage schaut anderswo im Land nicht besser aus. Auf eine Nachfrage, schreibt die Pressestelle des Rathauses: "Innenminister Pistorius hat öffentlich angekündigt, dass das Land keine Kommune mehr ausnehmen werde. Es ist demnach wohl mit anhaltenden Zuweisungen zu rechnen und insofern auch mit der Einrichtung weiterer Notunterkünfte." Claudia Kalisch selber sagt: "Wir prüfen mit Hochdruck weitere Alternativen."
Wie berichtet, hat die Stadt am Rotenbleicher Weg im alten Uni-Gebäude eine Bibliothek und die Mensa zur Notunterkunft gemacht. Aktuell leben dort gut 60 Personen. Insgesamt bringt Lüneburg 544 Menschen in Unterkünften unter, die aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Lüneburg rechnet zunächst mit weiteren 450 Personen, für die man ein Dach über dem Kopf und eine Betreuung benötige, heißt es aus dem Rathaus. Da ist schnell hochgerechnet: Es geht um zusätzliche vier bis fünf Standorte.
Nun erlebt Lüneburg nicht zum ersten Mal massive Zuwanderung. 2015 kamen wesentlich mehr Menschen unter anderem aus Syrien. Damals baute die Stadt Container als Gemeinschaftsunterkünfte auf, in denen Familien einen Rückzugsort hatten und entwickelte ein Konzept der dezentralen Unterbringung mit Anbindung an Kitas und Schulen. Das Sozialdezernat müsste also über einen reichen Erfahrungsschatz verfügen.
Es absehbar ist, dass der Krieg in der Ukraine anhält. Es war ein halbes Jahr Zeit. Warum verfolgt man den ursprünglichen Ansatz nicht weiter? Die Antwort aus dem Rathaus: "Es gab und gibt seit Kriegsbeginn laufend Überlegungen und Versuche der Verwaltung, größere Gebäude zu erwerben, zu mieten oder umzubauen. Es gab und gibt Überlegungen bestehende Unterkünfte aufzustocken. Die Pläne sind allesamt nicht kurzfristig zu realisieren aus verschiedenen Gründen."
Auf die Frage, welche Gründe das sind, gab es keine Antwort. Auch nicht auf die Frage, warum die Verwaltung vor sieben Jahren offenbar besser in der Lage war, mit einer Notlage umzugehen als heute. Denn auch damals kamen immer wieder und immer mehr Flüchtlinge an die Ilmenau. Die Wohnungslage sah ebenfalls dramatisch schlecht aus.
Die nächste Frage: Welche Konzeption hat die Verwaltung seit Frühjahr erarbeitet, um die Geflüchteten aus der Ukraine und andere unterzubringen? Was heißt das konkret für Unterkünfte, Schule, Kita?
Die Antwort: "Für Geflüchtete aus der Ukraine ebenso wie aus anderen Ländern gilt das Integrationskonzept. Auch wenn Geflüchtete aus der Ukraine keine finanziellen Leistungen von der Hansestadt erhalten, sondern Leistungen nach SGB-II beziehen, sind sie aus städtischer Sicht Geflüchtete, die unsere Unterstützung benötigen und die integriert werden sollen. Das heißt konkret zum Beispiel, dass sie von den Sozialarbeiterinnen in unseren Unterkünften begleitet werden und dass wir Kinder nach Möglichkeit zeitnah in Kitas und Schulen vor Ort unterbringen. Der so genannte Rechtskreiswechsel (hin zu SGB II) ändert nichts am Unterstützungsbedarf."
Wenn die Stadt auf das Integrationskonzept setzt, müsste sie eigentlich auch auf Gemeinschaftsunterkünfte setzen, denn die sind Teil des Konzepts. Und an möglichen Flächen für Containerhäuser mangelt es nicht. So gab es damals verschiedene Flächen, die manche Ratsmitglieder -- Anwohner sowieso -- nicht gerne wollten, die aber nutzbar wären. Ein Beispiel ist ein Gelände nahe dem Betriebshof der KVG an der Dahlenburger Landstraße, ein anderes die Wiese zwischen Hanseviertel und Meisterweg.
Findet die Stadt also nicht zügig Alternativen, liegt nahe, dass weitere Turnhallen zu Notunterkünften werden. Was über einen längeren Zeitraum eine Zumutung für die Vertriebenen bedeutet und für den lokalen Sport den Wegfall von Trainingszeiten.
Im Verwaltungsausschuss soll die Oberbürgermeisterin erklärt haben, dass Landrat Jens Böther der Stadt keine Container als Unterkünfte zubillige. Eine Idee, die Frau Kalisch verfolgt haben soll. So habe ich es mir von mehrere Beteiligten schildern lassen. Der Ausschuss tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit, daher bestätigt das niemand offiziell. Ich habe im Rathaus nachgefragt, aber bis dato keine Antwort erhalten. Auch an das Kreishaus ging eine entsprechende Anfrage.
Die Antwort der Pressestelle des Landrats: "Aussagen aus dem Verwaltungsrat der Hansestadt Lüneburg kommentieren wir als Landkreis nicht.
Fakt ist, dass die Kommunen die Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine grundsätzlich selbstständig organisieren. Dafür sind sie bei Geflüchteten aus der Ukraine im Rahmen der Obdachlosenunterbringung zuständig. Sie entscheiden daher selbst, wie sie die Unterbringung gestalten - ob mit privatem Wohnraum, Gemeinschaftsunterkünften, Containerunterkünften oder anderen Möglichkeiten. Der Landkreis macht hier keine Vorgaben. In vielen Kommunen in der Region Lüneburg ist Wohnraum relativ knapp.
Um dennoch schnell und zuverlässig Geflüchtete aus der Ukraine und anderen Ländern aufnehmen zu können, hat der Landkreis Lüneburg die Unterkunft in Sumte aufgebaut, wo sofort mehrere hundert Menschen Platz finden. Dies ist auch als Unterstützung für die Kommunen gedacht, die so Zeit gewinnen, um eine angemessene und längerfristige Unterkunft vor Ort für die ankommenden Familien und Einzelpersonen bereitzustellen.
Uns als Landkreis Lüneburg ist bewusst, dass die Versorgung der Geflüchteten und besonders die Wohnraumbeschaffung eine sehr große Herausforderung für die Kommunen sind. Es ist wichtig, dass wir uns dieser Aufgabe gemeinsam stellen. Deshalb sind wir im ständigen Austausch mit den Verwaltungen und den hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, die alle 14 Tage mit im Krisenstab beraten." Carlo Eggeling
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