Uelzen, am Montag den 18.08.2025

LoCarlo: Meine Woche Warte nur!

von Winfried Machel am 01.10.2022


Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch könnte auf ihrem Weg vom trauten Heim ins Lüneburger Rathaus den Chauffeur bei ihrem Kollegen Steffen Gärtner in Reppenstedt stoppen lassen, sie kommt direkt bei ihm vorbei. Dem Gellerser Samtgemeindechef ist gelungen, was in Reppenstedts Vorort so unmöglich scheint: Er baut ein Containerdorf für Flüchtlinge auf. Binnen eineinhalb Monaten habe er die Blechboxen besorgt, die als Gemeinschaftsunterkunft dienen sollen, erzählt der Christdemokrat. Seit März hätten seine Mitarbeiter und er sich darauf vorbereitet, dass Menschen aus der Ukraine und anderen durchgeschüttelten Regionen der Welt Richtung Deutschand ziehen könnten.

Was der ersten Frau des 78 000-Seelen-Dorfes Lüneburg unmöglich scheint, schaffen die Verantwortlichen des 14 000-Einwohner-Oberzentrums Reppenstedt/Gellersen: Sie machen keine Turnhalle zur Notunterkunft. Die Oberbürgermeisterin hat gerade angekündigt, nach der Halle im Grimm zwei weitere im Hanse-Viertel zu Schlafstellen umzuwandeln: "Ich bedaure die Folgen dieser Entscheidung für den Schul- und Vereinssport. Leider haben wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine anderen Optionen."

Gärtner hingegen sagt: "Wir wollen mit unserem Aktionsplan unbedingt vermeiden, Turnhallen für die Unterbringung von Geflüchteten schließen zu müssen. Das ist für niemanden eine gute Lösung – weder für die Geflüchteten, die in Turnhallen kaum Rückzugsmöglichkeiten finden, noch für die Schülerinnen und Schüler, denen Sport nach zwei Jahren Pandemie auch wieder möglich sein soll."

Eigen bleibt ja, dass im Rathaus eine Liste mit möglichen Standorten für Container vorliegen soll. Zwei waren schon bei der sogenannten Flüchtlingswelle 2015/16 im Gespräch: nahe dem KVG-Gleände und zudem die Wiese zwischen Meisterweg und Hanse-Viertel. Schwer dagegen waren zwei wortgewaltige Ratsmitglieder, die das gleiche Parteibuch wie die Oberbürgermeisterin besitzen. Aber was soll's. Es gab Gründe gegen diese Nachbarschaft.

Jetzt zeigt sich gar die FDP-Fraktion unruhig, die sonst gern Verständnis für die Rathauschefin erklärt. Ihr Anführer, Frank Soldan, will einen Dringlichkeitsantrag in die nächste Ratssitzung einbringen. Mal sehen, ob das was wird oder der Oberjurist der Rechtsabteilung, Markus Moßmann, nicht von Paragraphen gezwungen wird, das Thema zu vertagen.

Der Antrag der Liberalen: "Die an die Hansestadt verteilten Geflüchteten müssen eine menschenwürdige Unterkunft, die zumindest den Mindestanforderungen entspricht, erhalten. Die Notunterkünfte in den Sporthallen entsprechen diesen Mindestanforderungen nicht.
Wir wollen, dass schnellstens neue Gemeinschaftsunterkünfte bereitgestellt werden. Dafür müssen Wohncontainer schnell und unbürokratisch beschafft werden. Genauso müssen dafür Standorte benannt werden (nicht jeder Standort wird den politischen Parteien bzw. Anwohnern gefallen) und Personal/Betreiber für die Gemeinschaftsunterkünfte müssen gefunden werden."

Können Reppenstedt und andere Gemeinden unterstützen? Menschen, wie es der Landkreis praktiziert, auf die andere Seite der Elbe in die Pampa von Sumte abzuschieben, wirkt nicht sonderlich gastfreundlich. Kein Laden weit und breit, kaum Arbeit, die Wege in die Zivilisation, also zur Fähre oder nach Neuhaus, weit.

Besonders ist der Plan, den Glockenhof schöner zu machen. Dafür soll die zerknautschte unbequeme Luna-Säule verschwinden. Mein Kollege Hans-Herbert Jenckel hat das schön beschrieben. Man möchte ein Stück der eh wenigen Kunst im öffentlichen Raum verlagern und vor die Kulturbäckerei verfrachten. Kommt es so, reißt das Bauamt ein Kunstwerk auseinander: Die Türen des Glockenhauses sind Teil der Plastik Erich Brüggemanns; als sie 1977 ihren Platz fand, war sie hoch umstritten, ein Jahr später erhielt sie einen Landespreis der Denkmalpflege.

Es ereilt ein Stück Lüneburger Geschichte und Identität, mit beidem geht diese gedrehte Zeit wenig pfleglich um. So wie mit dem nackten Gradierwerk, dessen Reparatur auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben scheint oder mit der Minimalsanierung des Salzmuseums, weil alles auf angeblich gewaltige Hürden stößt. Das ist nach jahrelanger Planung dummerweise erst jetzt aufgefallen. Irgendwie gelingt im Moment nichts, weil alles so schwierig erscheint.

Es gab einmal eine Stadtgesellschaft, die sich bei solchen Themen zu Wort meldete. Wo bleiben die ehemals kritischen Geister der Seebrücke und der Linken, wenn für Flüchtlinge die Losung gilt "Das Boot ist voll und mehr als ein Dach über dem Kopf ist nicht drin"? Was ist mit Integration, Teilhabe und bürgerlichem Engagement wie vor sechs Jahren durch die Willkommensinitiative? Wo bleiben der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt und die Kulturschaffenden, wenn es um Bildhauerei mitten in der Stadt und den Besuchermagnet Salzmuseum geht? Wo bleiben Gastronomen, Händler, Politik und Lüneburg-Fans, wenn an diesem Wochenende für vier Tage auf dem Sand Budenzauber veranstaltet wird, aber die Sülfmeistertage ausfallen, die auf der salzigen Historie fußen?

Gemach. Denken wir an Goethe: "Über allen Gipfeln/ Ist Ruh',/In allen Wipfeln/ Spürest Du/ Kaum einen Hauch;/ Die Vögelein/ schweigen im Walde./ Warte nur! Balde/ Ruhest du auch."

Ob der Wecker mal laut klingelt? Nicht nur im Rathaus. In diesem Sinne einen guten Morgen. Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


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