LoCarlo und der Versuch eines Nachrufs.
von Winfried Machel am 27.06.2022Notiz vom Rand
Eine Frau stirbt und wird erst Tage später gefunden. Tabletten, Alkohol, Gewalt und Psychiatrie sollen ihre Begleiter gewesen sein. Der Versuch eines Nachrufs
Ein, vielleicht zwei Wochen hat die 43-Jährige tot in ihrer Wohnung an der Schröderstraße gelegen. Dort, wo jeden Tag Tausende vorbeigehen. Am Sonnabend wurde ihr Leichnam entdeckt. Eine Menge Aufmerksamkeit für jemand, der sonst eher am Rand unterwegs war. Polizei, Rettungsdienst, da guckt jeder hin, wenn Pizza, Steak, Wein und Bier auf den Tischen der Kneipenmeile stehen, ein bisschen Kribbeln.
Der Todesfall Steffi bedeutet für die Polizei Alltag. Die Beamten werden immer wieder gerufen, wenn jemand stirbt und die Umstände nicht ganz klar sind, im Krankenhaus, in Einfamilienhäusern, in Mietskasernen. Bei arm und reich. Die Tatortgruppe geht in Wohnungen, in denen die zu Hause waren -- ist Zuhause das richtige Wort? --, deren Leben nach allgemeinen Vorstellungen nicht gerade geordnet lief.
Ein Freund Steffis erzählt, was er meint zu wissen. Ob alles stimmt, bleibt vage, einen Eindruck gibt es. Demnach stammte sie aus einem Ort bei Munster. Kindheit und Jugend sollen kalt und gewalttätig gewesen sein. "Sie hat mir erzählt, dass ihre Mutter sie in die Wanne gesteckt, mit heißem Wasser übergossen und mit einer Bürste abgeschrubbt hat, wenn sie böse war", erzählt der 55-Jährige, der tief in der Drogenszene steckte. Steffi war wohl öfter böse. Angeblich soll der Bruder das Mädchen verprügelt haben. Nicht nur einmal.
Irgendwie kam sie nach Hamburg, Reeperbahn, lebte mit einem Punk zusammen. Viel Party, viel Droge. Umzug nach Lüneburg. Die Partner wechselten, Gewalt blieb. Missbrauch, wenn sie betrunken war: "Sie hat das nicht angezeigt, sondern in ihrem Suff hingenommen." Speed, Alkohol, Psychopharmaka. "Nüchtern war sie wunderbar. Aber die Dämonen aus der Vergangenheit kamen immer wieder." Tiefe Spuren, wenn das Leben einen so durchkaut und ausspuckt. Depressionen, Aufenthalte in der Psychiatrischen Klinik.
Psychiatrie, das deckt sich mit dem, was die Polizei weiß und preis gibt. Von dort heißt es: "Wir haben Einsätze als sonstiges Ereignis verzeichnet. Also keine Straftaten, sondern weil sie wegen Alkohol auffiel, sie wurde auch ins PKL gebracht."
Dort lernte ihr ehemaliger Freund sie kennen: "Auf einer Entgiftungsstation." Er selber sei nach langer Abstinenz rückfällig geworden: "Heroin." Irgendwie war da Zuneigung, vielleicht Liebe. "Wir waren ein paar Monate zusammen letztes Jahr, aber dann ging es nicht mehr." Wenn sich zwei Ertrinkende aneinander klammern, gehen sie eher unter: "Deshalb bin ich weg. Es hätte mich aufgefressen." Der Kontakt sei geblieben. Und er dabei, wieder Fuß zu fassen.
"Sie war hilfsbereit. Sie hatte etwas geerbt, als eine Freundin kam, die Geld brauchte für die Operation des Sohnes, hat sie ihr 300 Euro gegeben", sagt der Mann. Steffi habe Leute in der Zwei-Zimmer-Wohnung aufgenommen, die Szene war zu Gast. Dankbarkeit ist keine wirkliche Option, wenn die Sucht in einem kreischt und schmerzt: "Die haben sie beklaut."
Ihr Hund Kurt sei das Wichtigste im Leben gewesen. Wenn sie konnte, sei sie mit dem schäferhundgroßen Mischling an den Kreidebergsee gegangen, er tobte im Wasser. Kurt soll bis zuletzt bei ihr geblieben sein.
"Sie hat mir gesagt, dass sie nicht mehr wolle", erinnert sich ihr Freund. Seele in tiefstem Schwarz, sie habe kaum gegessen. "Sie wollte sich totsaufen." Habe sie gesagt, ist schon einige Zeit her. Ein halbes Jahr habe er sie nicht mehr gesehen, nur vor Wochen Licht in ihren Fenstern an der Schröderstraße. Wie es ihr ging, habe er sich gefragt und sei weitergegangen. Er habe ihren Traum im Kopf, sagt er: eine Therapie mit Pferden irgendwo bei Meppen. Dann wäre alles anders geworden. Wäre es das? Viele Rettungsversuche haben augenscheinlich nicht geklappt.
Ganz vergessen war sie nicht. Die Anrufe bei der Polizei, die sonstigen Einsätze, hatten einen Grund: Es machte sich jemand Sorgen, die Beamten sollten nach Steffi gucken. Am 7. Juni schaute eine Streife nach dem Rechten. Alles ok, so weit man das sagen kann.
Doch letzte Einsatz zweieinhalb Wochen später am Sonnabend war eben auch der allerletzte: Steffi lag tot in ihrer Wohnung. Mitten in der Stadt. Hinweise auf ein Verbrechen gibt es bislang nicht. Carlo Eggeling
Foto: ca
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