Uelzen, am Montag den 18.08.2025

Meine Woche

von Carlo Eggeling am 25.02.2023


Meine Woche
Gewitter aus Stahl

"Die Tage gehen hin, und jede Stunde ist unbegreiflich und selbstverständlich. Die Angriffe wechseln zu Gegenangriffen, und langsam häufen sich auf den Trichterfeldern zwischen den Gräben die Toten. Die Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, können wir meistens holen. Manche aber müssen lange liegen, und wir hören sie sterben."

Sätze aus "Im Westen nichts Neues", Erich Maria Remarque hat sie geschrieben in seinem Roman über den Ersten Weltkrieg. Der Tod machte keinen Unterschied zwischen den Nationen. Remarques Buch erschien 1928, elf Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg, in dem noch effizienter geschossen und gebombt wurde. 17 Millionen Tote im ersten Krieg zwischen 1914 und 1918, 65 Millionen im zweiten. Das sind Schätzungen. Eine Viertelmillon Menschen sollen ihr Leben in einem Jahr Ukraine-Krieg verloren haben.

Millionen Gründe, um für den Frieden zu sein. Das war nach 1945 eine Leitlinie der Bonner und der Berliner Republik. Wenn die Bundeswehr als Parlamentsarmee auf dem Marktplatz junge Soldaten vereidigen wollte, erschallte regelmäßig Protest: keine Waffen in der Stadt, bleibt in der Kaserne. Bundeswehr bedeutete, Sandsäcke schleppen, wenn an der Elbe Hochwasser bis an die Kronen der Deiche schwappte. Wer forderte, die Bundeswehr brauche modernere Waffen, die Bestände müssten instand gesetzt werden, sei Kriegstreiber, wurde ausgelacht -- von denen, die heute finden, dass nach Panzern auch Flugzeuge und Fregatten an die Ukraine geliefert werden müssen.

Die Sprache hat sich im vergangenen Jahr verändert, härter, klirrender, Gewitter aus Stahl. Da passt es nicht, wenn Schriftsteller, Journalisten, Wissenschaftler, Politiker und Bürger zu mehr Besonnenheit mahnen. Kaum jemand stellt dabei in Frage, dass Russland die Ukraine überfallen hat und Putin die Schuld an diesem Krieg trägt. Wer Nachdenklichkeit fordert, hat ein Problem. "Wen man nicht als rechts diffamieren kann, den macht man lächerlich", schreibt der stellvertretende Chefredakteur der Welt, Robin Alexander. Ihm geht es um Jürgen Habermas, 93 Jahre alt, einer der wichtigsten deutschen Philosophen und Soziologen. Wie den prägenden Denker Habermas gibt es andere etwa eine der besten Autorinnen des Landes, die Brandenburger Verfassungsrichterin Juli Zeh. Alle naiv? Alle Putin-Trolle?

Wo bleibt der Diskurs? Es ist doch aller Ehren wert, um einen richtigen Weg zu ringen. Zumal gar nicht klar ist, welches der richtige Weg ist. Das Leid der Menschen in der Ukraine ist furchtbar. Aber töten ukrainische Kugeln und Granaten nicht? Trauern russische Mütter nicht um ihre Söhne, Frauen um ihre Männer? Wann gelten Kriegsziele als erreicht? Kann es Kompromisse geben? Worüber können die Beteiligten verhandeln? Es wirkt, als drehten wir uns in einer neuen Spirale des Kalten Krieges, so wie sich Ost und West bis Anfang der 1990er Jahre hochgerüstet gegenüber standen in der Logik, wir müssen immer furchtbarere Waffen haben, denn wer als erster schießt, ist als zweiter tot.

Gedichte, wie das Wolfgang Borcherts, 1947, rund zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs geschrieben, scheinen vergessen: "Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo - Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins: Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!" Vermutlich heute auch naiv.

Es täte der Debatte gut, sprachlich abzurüsten, denn die Folgen dieser Auseinandersetzung begleiten uns lange. Das war schon bei Corona so. Remarque stellt seinem Buch einen Absatz voran: „Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde -- auch wenn sie den Granaten entkam." Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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