Meine Woche: Besonnen, alles hat seinen Grund
von Carlo Eggeling am 22.10.2022Über Jahrhunderte hütete Lüneburg seinen Schatz und präsentierte ihn in Schenkeschieven des Rathauses zu festlichen Anlässen. Ratsherren hatten eine kleine Ewigkeit lang Krüge, Teller, Schalen gestiftet -- für die Stadt und als Zeichen ihres Reichtums und ihrer Macht. Doch die Stadt geriet im 19. Jahrhundert in schwere See, Diskussionen hin, Diskussionen her: Würde man das kostbare Ratssilber versilbern, könnte man einige Probleme der Stadt lösen. Die Herren, Frauen hatten kaum ein Mitspracherecht, verscherbelten das Zeugnis Lüneburger Wirtschaftsgeschichte 1874. Bisschen blöd gelaufen, dass der sogenannte Ratssilberfonds von 660 000 Mark 1923 nichts mehr wert war, Inflation.
Neulich verkündeten Oberbürgermeisterin und Kämmerin im Wirtschaftsausschuss, dass Lüneburg im kommenden Jahr ein Minus von rund 40 Millionen Euro drohe. 361 Millionen Euro umfasse das Budget, nur 321 Millionen nehme man ein. Notunterkünfte, Energiepreise, andere Zinslasten waren Erklärungen, und Lüneburg stehe nicht alleine mies da. Nö, auch Hannover und Salzgitter haben es schwer. Stand auf Seite 4 der Zeitung, also eher halbwichtig. Na ja, ein paar Tage später die Gesundheitsholding, Tochter der Stadt. Krankenhaus und Psychiatrische Klinik könnten im kommenden Jahr in einen Krater von 25 Millionen Euro minus purzeln.
Bitter, bitter. Und nun? Man kann solche Szenarien interpretieren. Wie kommen sie zustande, wie errechnet man das Zahlenwerk? Wo sind die Zahlenfüchse aus dem Rat, die die Kalkulation aus dem Finanzministerium der Stadt infrage stellen? Wo kann man die Einnahmen beispielsweise bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen erhöhen, in dem man prüft, wo Land und Landkreis Kosten erstatten müssten? Ob wir bald hören, man könnte den Gesundheitsbereich doch verkaufen und sei die Last los?
Selbstverständlich erschallt der Ruf des Sparens. Im Sportausschuss war neulich schon zu vernehmen, man solle sich angesichts der Verzögerungen beim Bau der Skateanlage nicht so anstellen, die Stadt stehe vor ganz anderen Herausforderungen. Es war gerade ein Anliegen des frischgebackenen sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten Philipp Meyn, dem könnte man an dieser Stelle mal zeigen, wie grüngelbschwarz das Leben aussieht. Mal sehen, ob es beim Versprechen der Oberbürgermeisterin bleibt, im kommenden Jahr Rampen und Bahnen anzulegen. Und: Ukraine-Solidarität üben, na klar. Sport verzichtet gern. Ist vermutlich günstiger als Container. Wenn die Verwaltung schon drei Turnhallen zu Schlafsälen umwidmet, warum nicht mehr? An der frischen Luft bewegt sich der Nachwuchs und auch der reifere Athlet eh gesünder.
Andere angeschlagene Kandidaten reihen sich ein. Das Gradierwerk im Kurpark ist bis aufs Skelett abgemagert; das SaLü und damit die Gesundheitsholding hat zwar 25 Millionen Euro in das Spaßbad gesteckt, aber eine halbe Million für den Salzsprüher sei nicht darstellbar.
Ausbau Salzmuseum. Nee, das geht so nicht. Trotz üppigen Zuschusses von 4,5 Millionen aus Berlin ist alles schwierig, teurer sowieso. Ob das was wird? Karo einfach sei das höchste der Gefühle, erfuhren verblüffte Zuhörer kürzlich im Kulturausschuss. Vor einem halben Jahr hatten ihnen Kollegen aus der Bauverwaltung noch eine andere Version in Folien an die Wand geworfen. Jetzt: quasi zerschellt.
Gerade das Baudezernat erklärt immer wieder, wie überlastet es sei, dass es an Personal mangle. Man muss es praktisch betrachten, nicht das Schlechteste, könnte ein Haushaltsloch doch für Entlastung sorgen -- Bauprojekte streichen. Etwa die Kita am Freibad. Anwohner finden einen Kindergarten da eh überflüssig. Parken geht vor.
Was ist mit den Zuschüssen für das Theater? Landrat und Oberbürgermeisterin singen gern im Duett, dass das Land mehr geben müsse. Wenn es nicht reicht, statt drei Sparten nur noch zwei? Wer geht schon ins Ballett? Wie groß die Solidarität ausschaut, war zu Beginn des Jahres zu besichtigen, als man die Bühne für Monate schloss, weil es sich besser rechnete. Kein Aufschrei.
Es ist nicht lange her, dass die Verwaltung verkündete, gut 70 Stellen mehr zu benötigen. Werden die nun gestrichen?
Aber wir können Radwege bauen. An der Hindenburgstraße zum Beispiel. Da soll wieder so ein Asphalt-Pinsel-Strich-Glück entstehen und zwanzig Parkplätze verschwinden. Aus Parkplätzen kann man durchaus Blumenbeete machen oder kostengünstige struppige Sträucher als Heimstatt für Krabbeltiere. Aber warum bitte ein neuer Radweg? Der jetzige ist einer der besten und sichersten in der Stadt -- durch eine Baumreihe vom Verkehr getrennt. Die halbe Millionen könnte man sparen.
Mobilitätswende? Dass der Bustakt sich für den Kreideberg verschlechtert, ist nicht weiter schlimm. Wende bedeutet nicht unbedingt, dass Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind, selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft sind. Mal im Ernst: Rentner verfügen über jede Menge Zeit.
Das Momentum fordert eh Verzicht. Das Buch einer Wirtschaftsjournalistin, die uns ein Leben Ende der 1970er Jahre empfiehlt, gewinnt viele Befürworter. Klimawandel und Co. -- da müssen wir uns mal bescheiden. Mag sein. Ich würde allerdings sagen, wir hatten in den vier Jahrzehnten danach eine Menge Erfindungen, die das Leben besser gemacht haben. Auch die Umwelt: Wer damals in der Elbe Baden ging, war lebensmüde. Heute kein Problem.
Vor wenigen Wochen hatte uns die Bauverwaltung erklärt, das Projekt Bürger pflanzen Bäume, sei antiquiert, man habe ein besseres Konzept. Ohne Bürgerwillen, denn die und auch der Rat wurden nicht gefragt. Alles grün macht die Verwaltung sozusagen. Dann lese ich, wie schön es ist, dass an diesem Wochenende im Mittelfeld Gutes geschieht: "Der Verein 23grad pflanzt mit der Unterstützung freiwilliger Helferinnen und Helfer am Standort Ringstraße/Auf der Höhe Lüneburgs ersten Tiny Forest." Rund 700 Pflanzen setzen die Fans des Wurzelwerks für den "Hain auf der Höhe". Das Projekt werde von der Niedersächsischen Bingo Umweltstiftung gefördert. Überdies verfolgt die Lokalzeitung ihre lobenswerte Baumpflanzaktion im Landkreis weiter. Nun manchmal macht es Sinn, das Bewusstsein zu spalten.
Was soll's. Es ist ein bisschen wie in einem alten Lied von Wolf Maahn: "Jeder hat seine Gründe. Jeder hat sein Problem. Ja, und wenn ich mich bemühe, kann ich alles versteh´n. Aber wo ist die Grenze der Besonnenheit?" Die findet jeder für sich.
In diesem Sinne ein schönes Wochenende. Carlo Eggeling
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