Neue Welt im Wasserviertel
von Carlo Eggeling am 25.10.2023Aufgespießt
Verkehrter Verkehr
Auch wenn die ewig steigenden Zulassungszahlen eine gewisse Sehnsucht nach dem Auto als solchem nahelegen, gilt das Vehikel vielen als Feind einer urbanen Entwicklung. Autos raus, und es wird lebenswerter. Glück strampelt heuer im Fahrradsattel. Auch Lüneburg beteiligt sich, wenn auch zögernd, am Wechsel. So richtig wandelt sich gerade das Wasserviertel. Ein Knäul von Einbahnstraßen, das jedes Navi heißlaufen lassen dürfte, dazu fallen Parkplätze Auf dem Kauf weg, um es Radlern angenehmer zu machen. Aber am Ende klappt alles, jedes Hotel ist bestens zu erreichen. Ganz sicher.
Allerdings hatte man schon zuvor nicht das Gefühl, dass es im Schatten von Nicolai und Altem Kran zugeht wie auf der Schießgrabenstraße, aber es ist eben Zeit, das sich was dreht, um einen beliebten Slogan aufzugreifen. Wobei hier ja gemeint ist: Es soll sich weniger drehen. Na ja.
Jetzt höre ich, dass eine Nachbarin um ein Schild "Anwohnerin" für ihr Auto gebeten hat, um von ihrer Garage an der Baumstraße über die Flanierzone Salzstraße am Wasser fahren zu können. Sie sei von Fans der Außen-Gastro schon angepöbelt worden, so gar aufs Blech habe man ihr geschlagen. Nun denkt man, eine gut funktionierende Verwaltung, die auf Schilder steht, erinnern wir uns ans P an der Uelzener Straße und die vielen neuen blechernen Zeichen im Wasserviertel, hätte da etwas vorbereitet. Nö, da gebe es nix, heißt es aus der Mobilitätszentrale, "nicht vorgesehen". Die Frau möge sich bei Bedarf doch selber etwas malen, wörtlich: "Ein offizielles Schild als Anwohnerin kann ich Ihnen nicht ausstellen. Sie können gern eine positiv Beschilderung als Anwohnerin anfertigen und an ihrem Auto anbringen."
Nun ist die Frau Künstlerin, da dürfte ihr etwas einfallen. Da man in der Verwaltung zumindest dem Wort nach schwer auf Bürgerbeteiligung steht, schreit das Ganze doch förmlich nach einer Gemeinschaftsaktion, nach einem Kreativ-Workshop unter herbstlicher Sonne an der Ilmenau: "Malen nach Zahlen -- Wir basteln gemeinsam was fürs Auto". Platz wäre genug, auch Auf dem Kauf, aber bitte nicht die Radler stören.
Denn galt mal die autogerechte Stadt als Leitlinie der Urbanistik, steht in unseren Tagen das Velo im Mittelpunkt. Während Autofahrer in Schrittgeschwindigkeit in beruhigten Bereichen unterwegs sein müssen, gilt das für Pedalos offensichtlich nicht. Akku-getrieben, Lance-Armstron-mäßig beflügelt oder mit den Schwerlastern der Bionade-Bourgoisie (Lastenradler rufen gern mal: "Ich bin mit Kindern unterwegs, machen Sie mal Platz!") sausen sie über Lünertorstraße, Kaufhaus-Brücke und Stintmarkt. Ein Tempolimit für Speichen-Freunde ist allerdings nicht in Sicht.
Undenkbar für den neuen Verkehrsplaner und seine Crew. Das ergab eine Nachfrage im Rathaus. Die Antwort: "Aktuell sind keine Maßnahmen geplant, aber wir behalten das im Blick. Grundsätzlich müssen sich alle Verkehrsteilnehmenden an die Straßenverkehrsordnung halten und die sieht gegenseitige Rücksicht vor."
Wer vorm Einzigartig, dem Blaenk oder dem Alto Adige Enoteca etwas trinkt oder seinen Kindern ein Eis bei Davide und Tanja spendiert, weiß, Rücksicht ist für die Tour-de-France-Fahrer, die vom Bahnhof kommen, selbstverständlich. Oder nicht? Das liegt nur am falschen Blick.
Wenn grundsätzlich alle "Verkehrsteilnehmenden" Rücksicht nehmen müssen und sich daran hielten, wofür braucht es dann die Verkehrsberuhigung? Merkste selber, oder? Carlo Eggeling
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