Wo Hagens warmes Herz schlägt
von Carlo Eggeling am 05.09.2023
Es wirkt wie im Kirchenlied Martin Luthers: "Eine feste Burg ist unser Gott." Wer auf das Gemeindezentrum Paul Gerhardt in Hagen zugeht, blickt auf kleine quadratische Fenster, die wie Schießscharten wirken. Das soll sich ändern, um sich zu präsentieren, wie sich die Gemeinde sieht: offen und einladend. Die Gemeinschaft plant einen radikalen Umbau, baulich und inhaltlich. Wenn alles klappt, entsteht in der alten Kirche ein Neubau, 2025 soll alles fertig sein. Am Dienstagvormittag präsentierten Pastor Dennis Schipporeit, Diakonin Antje Stoffregen und Yvonne Hobro für den Kirchenvorstand das Konzept.
Weit über den Stadtteil hinaus ist Paul Gerhardt, benannt nach einem Theologen und Kirchenmusiker aus dem 17. Jahrhundert, für die Kindertafel. Angeschoben Mitte der 90er Jahre von Pastor Jürgen Wesenick und dann ehrenamtlich fortgesetzt von Birgit von Paris gab es vor sechs Jahren einen Wechsel -- personell und inhaltlich: Antje Stoffregen leitet das Projekt. Damals nur über Spenden finanziert und ehrenamtlich getragen, fließen heute unter anderem Mittel aus der städtischen Heiligengeist-Stiftung. Sozialarbeit hautnah: Mittagessen für zwanzig Mädchen und Jungen, Hausaufgabenhilfe, darüber hinaus Sprachkurse und ein Café für Erwachsene.
Mit 3,1 Millionen Euro veranschlagen die Planer die Kosten, ein Drittel soll von Landeskirche und Kirchenkreis fließen, weitere Fördermittel möchten die Verantwortlichen aus Förderprogrammen einwerben, eine Viertelmillion Euro kommen aus dem Sparstrumpf der Gemeinde. Ein Kredit soll zusätzlich Bares bringen, 400 000 Euro seien noch offen -- Sponsoren gesucht. Bei allen Planungen sei der Vorstand "konservativ" vorgegangen, Kostensteigerungen seien eingerechnet, sagt das Trio. Die Kredite sollen über Vermietungen bedient werden. Den Bauantrag stelle man, wenn Zusagen da sind.
Letztlich teilt sich das sechs Jahrzehnte alte Zentrum künftig. Der Kirchentrakt mit dem Gottesdienstraum steht für die tägliche Arbeit zur Verfügung, etwa für das Angebot der Kindertafel. Auf der Empore finden beispielsweise kleine Räume für individuelle Sprachangebote und Co-Working Platz.
Der zweite Trakt, in dem heute Räume der Kindertafel und Wohnungen für Mitarbeiter liegen, wird abgetrennt. Vier Wohnungen bieten später Heimat für Menschen, die nicht viel Geld haben, ein Fahrstuhl macht quasi die mobiler, die nicht gut zu Fuß sind. Die Mieten sowie das zur Verfügungstellen von Räumen für Konzerte, Treffen, Seminare oder einen Geburtstag sollen Mittel bringen, um den Umbau und die Arbeit der Gemeinde zu finanzieren.
An der Bunsenstraße ist zu beobachten, vor welcher Herausforderung die Kirche generell steht: Einerseits laufen ihr die Mitglieder davon, sie muss sparen und schrumpfen, um finanziell zu überleben; anderseits ist die Botschaft Jesu Christ gefordert: Nächstenliebe. Immer mehr Menschen aus aller Welt und verschiedener Religionen kommen nach Deutschland, sie brauchen Hilfe, um sich zurechtzufinden, die Sprache zu lernen. Einheimische Familien sind überfordert, schaffen es nicht, ein Mittagessen auf den Tisch zu bringen, Kindern beim Lernen zu helfen. Senioren leben einsam in Wohnblocks, wenn der Partner gestorben ist, der Nachwuchs weit weg lebt.
Der Staat und die Kommune fangen nicht alles auf, die Gesellschaft ist gefordert. Das haben sie in Hagen schon vor langem erkannt und reagiert. Inzwischen machen 120 Ehrenamtliche mit, um Gymnastik, ein Kaffee-Mobil, einen Eltern-Kind-Treff und eine Rikscha anzubieten, die Interessierte abholt. Längst sind den Betonplatten und Bänke vor der Kirche zum Dorfplatz geworden -- die Ladenzeile ist verschwunden, es gibt nur wenige Kneipen.
Der Wandel ist nicht zu Ende, wissen Yvonne Hobro, Antje Stoffregen und Dennis Schipporeit. Sie bewältigen noch die Fusion der Gemeinden Lüne und Gerhardt als Teil der neuen Struktur, die sich der Kirchenkreis gibt. Aber wer weiß, was noch kommt. So wollen sie so bauen, dass alle Module für sich auch anders zu nutzen sind. Sie sind auf dem Weg.
Das möchten sie vorstellen: Am Samstag, 16. September, 16 Uhr laden sie ein zu einem Fest, um die Ideen vorzustellen und um zu feiern: Die Gemeinde wird 60 Jahre alt. Doch an den Ruhestand denkt hier keiner. Carlo Eggeling
Die Fotos (ca) zeigen die Gemeide und das Trio Yvonne Hobro, Dennis Schipporeit und Antje Stoffrregen.
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